07
1998

Das Internet-Urteil – Bewährungsstrafe für Ex-Compuserve-Chef

Ein Skandalurteil erschüttert die Internet-Gemeinde: Völlig überraschend ist der frühere Chef von CompuServe Deutschland, Felix Somm, wegen Mittäterschaft bei der Verbreitung von Pornografie verurteilt worden. Die Entscheidung verunsichert Provider wie Politiker.

Die Welt ist also doch eine Scheibe! So oder ähnlich mögen wohl die ersten Gedanken vieler Beobachter des Prozesses gegen den ehemaligen CompuServe-Geschäftsführer, Felix Somm, gelautet haben. Denn was in München passiert ist, bringt die Welt der deutschen Internet-Szene gewaltig durcheinander.

Das Urteil

Was passiert ist, konnte jeder in Tagespresse und Nachrichtensendungen mitverfolgen: Wegen Verbreitung pornographischer Inhalte verurteilte der Münchner Amtsrichter Wilhelm Hubbert den ehemaligen Compuserve-Chef Somm zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe. Zuvor hatten nicht nur der Verteidiger, sondern auch der Staatsanwalt auf Freispruch plädiert. Somm muss zudem als Bewährungsauflage 100.000 Mark an gemeinnützige Einrichtungen zahlen. Amtsrichter Hubbert erklärte in der Urteilsbegründung, Somm habe den deutschen Kunden des Online-Dienstes 1995 und 1996 harte Kinder-, Tier- und Gewaltpornographie „bis ins letzte Kinderzimmer“ zugänglich und sich damit strafbar gemacht. Als Motiv sah das Gericht den Kampf um Kunden und Marktanteile. „Somm habe das Medium Internet für seine wirtschaftlichen Interessen missbraucht“. „Jugendschutz müsste vor der Gewinnmaximierung zurückstehen.“ Der Richter begründete sein Urteil zudem mit der abschreckenden Wirkung für andere Online-Anbieter. Zwar war bei Redaktionsschluss die Urteilsbegründung nicht veröffentlicht. Den ersten Berichten nach der Verkündung des Urteils lässt sich aber immerhin entnehmen, da das Amtsgericht München CompuServe als Service-Provider im Gegensatz zu einem reinen Access-Provider angesehen hat. Damit scheidet die Anwendung des 5 III Teledienstegesetz, das seit Mitte 1997 gilt, aus. Denn nach dieser Regelung sind Diensteanbieter für fremde Inhalte, zu denen sie lediglich den Zugang vermitteln, nicht verantwortlich. Offenbar wendete der Münchner Richter 5 II des Teledienstegesetz an: Es besagt, da Diensteanbieter für fremde Inhalte, die sie zur Nutzung bereithalten, verantwortlich sind, wenn sie (a) von diesen Inhalten Kenntnis haben und (b) es ihnen technisch möglich und zumutbar ist, deren Nutzung zu verhindern. In einem für die Fachwelt wohl nur schwer nachvollziehbaren Schritt kam Richter Hubbert anscheinend zu dem Ergebnis, da CompuServe von den kriminellen Inhalten Kenntnis und die technische Möglichkeit zur Verhinderung des Zugangs hatte. Problematisch ist dabei weniger die technische Möglichkeit der Löschung oder Sperrung, sondern vielmehr ihre Erkennung. Vor allem bei Kinderpornographie, die über Newsgroups verbreitet wird, ist es ohne konkrete Hinweise nicht möglich, strafbare Inhalte verlässlich zu erkennen. Und selbst wenn es gelänge, diese Inhalte auf den von dem Service-Provider betriebenen Servern zu entfernen, wären diese Maßnahmen letztlich vergeblich, da die Nutzer die News von einem anderen Newsserver abrufen könnten.

Reaktionen

Das Urteil signalisiert nicht nur wenig Verständnis für die Struktur des Internet, es ist insbesondere niederschmetternd für die deutsche Internet-Szene: Bestürzt reagierten Politiker wie Provider auf das Urteil. Das Bundesministerium für Wirtschaft befürchtete eine Verunsicherung der Dienste-Anbieter und Bayerns Wirtschaftsminister Wiesheu sprach gar „von einem großen Schaden für den Technologie- Standort Deutschland“. Der Internet- Experte der SPD-Bundestagsfraktion, Jörg Tauss, erklärte: Damit kommt einem bayerischen Amtsgericht das zweifelhafte Verdienst zu, das Internet in Deutschland zu ruinieren. FDP- Generalsekretär Westerwelle hat ebenfalls die Verurteilung scharf kritisiert. Hier seien nicht die Täter bestraft worden, denn Somm habe nichts anderes getan, als Computerbesitzern den Zugang zum Internet zu vermitteln, sagte Westerwelle. Die Branche wie auch die juristische Fachwelt geht indes davon aus, da das Urteil in der Berufungsinstanz vor dem Landgericht München keinen Bestand haben wird. Sollte dies jedoch nicht der Fall sein, müssen wir uns in Deutschland auf einiges gefasst machen. Die Post wird dann vielleicht keine Postkarten mehr befördern dürfen. Denn schließlich könnte ja auf einer Karte etwas Ungesetzliches stehen.

Konstantin Malakas, Rechtsanwalt in Berlin/km

Das darf nicht ins Internet!

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  • Pornografie
  • Beleidigungen
  • Fremde Geheimnisse wie ärztliche Untersuchungsergebnisse
  • Post- und Fernmeldegeheimnisse

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